Wir sprachen mit dem Musiker und Lyriker über Ausgrenzung von kritischen Künstlern, über Enttäuschung, Wut und die Möglichkeiten der Annäherung nach den Ereignissen der letzten Jahre.
Kunst kann Menschen verbinden, Diskussionen anstoßen und dabei helfen, gesellschaftliche Entwicklungen und individuelle Erfahrungen zu verarbeiten. In einer Zeit der Erschütterungen, die in beispielloser Weise unser menschliches Zusammenleben auf die Probe gestellt hat, waren Diskussionen nicht mehr erwünscht. Viele Künstler haben auf die Umbrüche unserer Gegenwart mit lautem Schweigen reagiert.
Der Lyriker und Musiker Jens Fischer Rodrian gehört zu den Wenigen, die in den letzten Jahren nicht geschwiegen haben. Als politischer Mensch hat er immer Position bezogen, aber seine offen kritische Haltung zu den Corona-Maßnahmen und sein Engagement für den Frieden haben dazu geführt, dass er sich heute mit Anschuldigungen und Unterstellungen konfrontiert sieht, die auch sein berufliches Leben belasten.
Gerade hat die Stadt Trier versucht, einen Auftritt von ihm bei einem Friedensfestival zu verhindern. Seine Positionen entsprächen nicht den Positionen der Stadt, so die irritierende Begründung. Dank der Veranstalterin Joya Gosh, die sich dem Druck nicht gebeugt hat, konnte Jens Fischer Rodrian aber trotzdem auf dem Friedensfestival in Trier auftreten.
Wir haben Jens Fischer Rodrian zwei Tage vorher in Heidelberg getroffen. Im Rahmen seiner laufenden Tour gab er ein Konzert im Stadtteil Wieblingen im Buchladen LOB, der auch Literatur mit kritischem Blick auf die letzten Jahre immer vorrätig hat. Vor einem begeisterten Publikum spielte er seine Kompositionen und trug lyrische Texte vor.
Im Anschluss hatten wir die Gelegenheit für ein Interview, das Gespräch führte Kay Klapproth.
INTERVIEW mit Jens Fischer Rodrian
KK: Wir sind heute hier im Buchladen LOB in Heidelberg mit Jens Fischer Rodrian. Ich freue mich.
JFR: Ich freue mich sehr.
KK: Wir hatten einen ganz wunderbaren Abend. Er hat mir wirklich ein gutes Gefühl gegeben. Wie hat es dir gefallen?
JFR: Ja, total gut. Weil diese Tour so unterschiedlich bestückt ist, was die Spielorte angeht. Ich habe erst ein klassisches Wohnzimmerkonzert in Kulmbach gespielt. Vorgestern war ich in einem ganz schrägen Club in München. Super schön, fast so New-York-Style. Heute diese Buchhandlung und dann das Festival in Trier. Was ich an diesen kleinen Orten so mag, ist die Aufmerksamkeit und die Intimität. Dann wird so ein Abend gemeinsam vom Publikum und dem Künstler gestaltet.
KK: Du bist ja jetzt schon eine Weile auf der Bühne. Also du machst das schon ziemlich lange, aber gerade in den letzten drei, vier Jahren hat sich dein Leben als Künstler, als Musiker, auch verändert. Du spielst nicht mehr in großen Hallen oder nicht mehr so viel in großen Hallen, dafür viele kleinere Konzerte. Was hat sich dabei geändert?
JFR: Na ja, das hängt ganz davon ab, ob die Leute wissen, wer ich bin und deswegen kommen und sich darüber freuen, dass jemand Stellung bezieht zu den Sachen, die in den letzten Jahren passiert sind. Oder ob es sich zum Beispiel um ein Festival handelt, wo ein sehr gemischtes Publikum kommt. Danach richte ich auch immer das Programm unterschiedlich aus.
Wir haben zum Beispiel letztens in Lychen gespielt, da waren wir nicht als „Maßnahmen“-kritischer Künstler angekündigt. Da hatten wir vom Impfarzt bis zum Montagsspaziergänger alle da. Es ist uns ja ein großes Anliegen, dass wir nicht nur unsere eigene Bewegung bespielen. Wir wollen ja Brücken bauen.
An diesem Abend war es so, dass ein Impfarzt in der ersten Reihe saß. Wir haben das Programm so umgestaltet, dass er nicht sofort davongetrieben wird. Wir haben erstmal die Lyrik präsentiert, die wir auch früher geschrieben und gespielt haben. Und dann kamen erst die kritischen Songs. Er blieb wirklich bis zum Schluss und hat sich alles angehört. Wenn dann die Leute darüber hinaus noch bereit sind, ins Gespräch zu gehen, über die Lyrik, über die Poesie und über den schönen Abend, den man gemeinsam verbracht hat, ist es das Beste, was uns passieren kann.
KK: Du bist für mich ein Ausnahmekünstler. Einerseits, was deine Musik und deine Texte betrifft, natürlich. Ausnahmekünstler aber auch deshalb, weil es wenige Künstler gibt, die so konsequent und engagiert sind und auch Mut bewiesen haben.
Aber das hat natürlich auch seinen Preis. Du bist jetzt in den nächsten Tagen in Trier und da bist du nicht überall so willkommen, wie du es dir vielleicht wünschen würdest. Was macht sowas mit dir?
JFR: Das ist eine sehr gute Frage, je nach Ereignis macht es was Unterschiedliches mit mir. Ich hatte eine ähnliche Situation jetzt bei einem anderen Auftritt in Berlin, wo die taz sich drei Künstler ausgesucht hat, die sie Corona-Leugner genannt haben. Da war ich auch dabei. Das hat mich dann doch ein bisschen angegriffen, weil die taz eine Zeitung war, die ich vor vielen Jahren geschätzt habe. Irgendwann war ich beim Freitag, landete dann bei den Nachdenkseiten und später bei vielen anderen alternativen Medien, die in den letzten Jahren bekannt geworden sind. Das war also nur eine kurze Irritation, weil ich dachte: „Mein Gott, die taz hatte ich mal abonniert“.
Das mit Trier hat mich deswegen so angegriffen, weil es ein Friedens-Festival ist. Ich bin ja auf vielen Friedensdemos unterwegs gewesen, sowohl als Teilnehmer, wie auch als Sänger. Von der Stadt Trier ausgeladen zu werden, weil ich bezüglich der Corona-Thematik versucht habe, den Finger in die Wunde zu legen, ist natürlich eine ganz irritierende Geschichte. Vor allem, weil die so beharrlich immer weitergemacht haben, uns, Uli Masuth und mich, auszuladen. Da wir die großartige Veranstalterin Joya Gosh im Kreuz haben, waren wir in guten Händen. Sie sagt ganz klar: Nein, das ist mein Festival, entweder es treten alle auf oder keiner.
Das Risiko, dass das Festival ins Wasser fällt, wollte die Stadt dann doch nicht eingehen. Mittlerweile bin ich in großer Vorfreude, weil wir auch klargemacht haben, dass wir direkt nach dem Konzert eine Podiumsdiskussion anbieten und natürlich auch die Leute einladen, die uns am meisten kritisiert haben. Sprich den Kultur- Beauftragten der Stadt, Markus Nöhl, und auch andere Leute, die vielleicht nicht einverstanden sind, dass wir dort spielen werden.
Ich würde mir wünschen, dass sie sich das Konzert anhören, hoffentlich nicht stören und danach in die Diskussion mit uns einsteigen. Ja, man darf die Sachen, die ich vertrete natürlich angreifen. Aber ganz ehrlich, Sachen, die mir vorgeworfen werden, zum Beispiel dass ich nicht der Meinung bin, dass wir in einer funktionierenden demokratischen Grundordnung leben, hatte Oskar Lafontaine schon vor vielen Jahren gesagt, also das ist nichts Neues.
Die Demokratie, wie sie jetzt hier bei uns gelebt wird, infrage zu stellen, ist jetzt nun wirklich keine revolutionäre neue Idee. Aber man sieht, dass selbst so was schon nicht mehr möglich sein kann. Deswegen hoffe ich, dass daraus ein Dialog entsteht. Wir werden das ganze filmen und dokumentieren, was uns an dem Tag erwartet.
KK: Es ist irritierend, dass heute auch Mut dazugehört, zu einem Künstler zu stehen, den man eingeladen hat. Macht dich das auch wütend?
JFR: Ja, mich macht es wütend, weil ich mir dachte, wir würden mit der Aufarbeitung schneller vorankommen. Da aber so viele Leute involviert sind und so viele Menschen geschwiegen haben, Medienvertreter, Juristen, Wissenschaftler, Ärzte und vor allem auch Künstler, ist das Thema natürlich auch mit Scham besetzt. Vielleicht spüren sie ja, dass da wirklich was nicht in Ordnung war. Man möchte dann vielleicht lieber sagen, Augen zu, wir schauen jetzt alle nach vorne.
Wenn wir nach dreieinhalb Jahren immer noch ausgeladen werden sollen, weil wir kritisch waren und sind, dann ist es ein ganz klares Zeichen dafür, dass einfach weitermachen überhaupt keine Option ist. Und ganz ehrlich, wir werden da beharrlich dranbleiben. Ob das jetzt noch ein Jahr oder zwei Jahrzehnte dauert, total egal. Ich habe so viele tolle neue Leute kennenlernen dürfen, dass ich auch ohne die Leute kann, die ich verloren habe. Wenn die zurückkommen und die Tür wieder aufstoßen wollen, kein Problem.
KK: Also du schlägst die Tür nicht zu, aber du bist enttäuscht. Und Wut ist auch da. Hilft die Wut, gibt sie dir Energie?
JFR: Ja. Die Wut gibt mir Energie in den Momenten, in denen ich Dinge erkenne. Sie schafft auch Klarheit. Aber ich glaube, sie ist kein guter Berater, wenn es um die Lösung von Problemen geht. Wenn jemand nur mit einer kleinen Geste kommt, selbst jemand, der mich total enttäuscht hat und sagt, weißt du, ich glaube, ich muss da noch mal drüber nachdenken. Auch wenn ich nach wie vor nicht deiner Meinung bin, die Tatsache, dass es dir so geht, wie es dir geht, die Tatsache, dass du ausgeladen werden sollst bei einem Friedensfestival, obwohl du auf der Straße stehst, bei Wind und Wetter, auf Demos, für den Frieden plädierst und für Friedensgespräche in der Ukraine und die Tragödie in Gaza ansprichst, das ist nicht in Ordnung. Die Freiheit des Andersdenkenden ist immer die, für die man sich einsetzen muss, nicht die von demjenigen, der so tickt wie du selbst.
KK: Das kennen wahrscheinlich viele, die mangelnde Solidarität von Leuten, mit denen man jahrelang zusammengearbeitet hat, die nicht zu einem stehen. Jetzt hat sich vieles geändert. Die Situation ändert sich permanent, es gibt auch immer neue Krisen. Wir haben auch neue Erkenntnisse über vergangene Krisen. Hast du den Eindruck, dass deine Künstlerkollegen ins Nachdenken geraten? Sind zu dir Leute gekommen, die gesagt haben, Jens, so, wie es gelaufen ist, war das nicht in Ordnung?
JFR: Eine einzige, wirklich eine einzige. Ich habe schon auch Kollegen, die sich nicht geäußert haben, aber immer zu mir gehalten haben und klar gezeigt hatten, dass es nicht in Ordnung ist, was hier passiert. Die Freunde gab es.
Jemand, der zeigt, er habe zum Beispiel über das Thema Ukraine oder Gaza verstanden, wie es uns bei dem Thema Corona ergangen ist – bravo, ein Schritt in die richtige Richtung, hin zur Versöhnung. Leute, die dann sagen, jetzt weiß ich erst, was euch passiert ist. Das ist mir genau mit einer einzigen Person passiert. Das ist schon bitter.
KK: Da kann man die Hoffnung ein bisschen verlieren. Aber du gibst die Hoffnung trotzdem nicht auf. Ich nehme dich als sehr positive Person wahr. Bist du gleichzeitig wütend und positiv? Geht das?
JFR: Ich habe das große Glück, eine wunderbare Familie zu haben, der Mikrokosmos stimmt. Meine Frau und ich ziehen am selben Strang. Die Krise hat uns nicht auseinandergebracht, im Gegenteil.
Aber darüber hinaus habe ich auch so viele neue Leute kennengelernt. Auch wenn man sich 40 Jahre kennt, wir sind alle Lebensabschnittsgefährten. Es gab immer eine Zeit, in der man sich nicht kannte. Und es wird eine Zeit geben, in der wir wieder keine Zeit miteinander verbringen werden, weil der eine oder andere früher stirbt. Endlichkeit ist ein großes Thema auch in meinen Songs vor 2022. Deswegen begreife ich jede Begegnung als eine Lebensabschnittsbegegnung.
Und ja, ich hätte gerne den einen oder anderen wieder fester in meinem Leben. Auch als Sparringspartner. Lasst uns doch bitte alle im Gespräch bleiben, auf Augenhöhe.
Das ist das Mindeste, was ich erwarte von einem aufrichtigen Kollegen. Sich so aus der Affäre zu ziehen, sich nicht mehr zu melden, Emails nicht mehr zu beantworten und dann nach zwei Jahren zu sagen, Gott ist es schon zwei Jahre her? Damit habe ich es ganz schwer. Ich brauche keinen Kniefall. Aber ich möchte gerne das Gefühl haben, dass man versteht, was uns passiert ist. Okay, dann lets move on. Aber das brauche ich schon.
KK: Aufklärung wird es geben. Irgendwann. Es wird auch Vergebung geben. Aber es muss wohl erst die Erkenntnis reifen, dass was schiefgelaufen ist. Auch bei den anderen. Du bleibst im Gespräch und hast die Tür nicht zugeschlagen.
Ich habe mich sehr gefreut, dich hier zu treffen. Ich wünsche dir eine erfolgreiche Tour und danke dir für das Gespräch.