Am 1. Juli 2025 steigt die monatliche Abgeordnetenentschädigung – die sogenannte „Diät“ – um exakt 606,29 Euro auf nun 11.833,47 Euro brutto im Monat. Diese automatische Erhöhung folgt der gesetzlichen Koppelung an die durchschnittliche Nominallohnentwicklung in Deutschland, die im Jahr 2024 bei 5,4 % lag. Doch die Entscheidung, wenngleich gesetzlich automatisiert, wirft Fragen auf.
von Siamak BB
Ist diese Erhöhung in Zeiten hoher Haushaltsbelastung und wachsender sozialer Ungleichheit politisch und moralisch gerechtfertigt? Was bedeutet sie im Kontext der parlamentarischen Pensionsprivilegien? Und wie transparent gehen die Abgeordneten selbst mit dieser Vergütung um? Der Mechanismus: Automatisch, aber unangreifbar?
Die Anpassung der Abgeordnetendiäten ist im Abgeordnetengesetz (§ 11 Abs. 4) geregelt: Jährlich zum 1. Juli wird die Entschädigung an die durchschnittliche Entwicklung der Bruttolöhne in Deutschland angepasst. Im Jahr 2024 stiegen die Nominallöhne im Bundesdurchschnitt um 5,4 %. Damit ergibt sich die Erhöhung der Diäten um den gleichen Prozentsatz, unabhängig von wirtschaftlicher Lage, Haushaltsdefizit oder dem Eindruck in der Bevölkerung. Ein häufig geäußerter Kritikpunkt: Der Mechanismus suggeriert Objektivität, erlaubt aber keine politische Diskussion über Angemessenheit, Leistung oder Vorbildfunktion. Das Parlament erhöht sich die Leistungen de facto selbst, und vermeidet die Verantwortung dafür, indem es auf eine „neutrale Regelung“ verweist.
Vergleich mit der Realität der Bürger
Die Diät ist nur ein Teil der Vergütung. Hinzu kommen:
- eine steuerfreie Aufwandspauschale von 5.349,58 Euro/Monat,
- großzügige Mitarbeiterbudgets und Reisekostenerstattungen sowie
- ein Pensionssystem, das mit der gesetzlichen Rentenversicherung nicht vergleichbar ist.
- Ein Abgeordneter erwirbt pro Mandatsjahr einen Pensionsanspruch in Höhe von 2,5 % der Diät – also rund 296 Euro pro Jahr. Nach nur vier Jahren im Parlament ergibt sich ein Pensionsanspruch von über 1.180 Euro/Monat: steuerfinanziert, ohne Eigenbeitrag. Zum Vergleich: Ein Durchschnittsarbeitnehmer müsste mehr als 45 Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, um auf eine gesetzliche Rente von rund 1.600 Euro/Monat brutto zu kommen, und das bei vollem Eigenanteil.
Unsere Nachfrage
Im Rahmen dieser Recherche hat unsere Redaktion alle 735 Bundestagsabgeordneten schriftlich kontaktiert, mit drei einfachen Fragen:
1. Wie rechtfertigen Sie die Erhöhung angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Lage?
2. Falls Sie gegen die Erhöhung gestimmt haben: warum haben Sie dagegen gestimmt?
3. Was geschieht nun mit dem zusätzlichen Betrag von 606 Euro monatlich? Spenden Sie ihn? Verzichten Sie?
Wir sind nicht optimistisch, dass wir Antworten erhalten; sollten jedoch Antworten eintreffen, werden wir diese unverändert und transparent veröffentlichen, damit die Bürger sich ein vollständiges Bild machen können.
Ein strukturelles Problem – nicht nur ein symbolisches
Es geht nicht um Neid. Es geht um Glaubwürdigkeit, Vorbildfunktion und Gerechtigkeit.
Die Diätenerhöhung mag formal korrekt sein, sie mag sich an Daten orientieren, aber sie entzieht sich bewusst jeder politischen Verantwortung.
Wenn Bürger für jede Lohnerhöhung kämpfen müssen, wenn Renten auf niedrigem Niveau stagnieren und Haushaltsdisziplin das Gebot der Stunde ist, dann muss sich das Parlament mehr Transparenz und Demut auferlegen.
Sollten die Bundestagsabgeordneten auf unsere gezielte Nachfrage schweigen, wird dadurch verstärkt der Eindruck erweckt, dass hier nicht Verantwortungsbewusstsein, sondern Selbstabsicherung die Maxime ist.
Die nächste Diätenanpassung kommt im Juli 2026. Wir alle sollten das Thema aufgreifen und alle Abgeordneten einladen, öffentlich Stellung zu beziehen. Denn Vertrauen entsteht nicht durch Gesetze, sondern durch Verhalten.

